10.4 Phasenumkehrstufe
© M. Zollner 2007
10-71
Zu 4: Natürlich kommt jeder Schaltungs-Entwickler an einen Punkt, wo der Mehraufwand in
keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu den Mehrkosten steht. Allerdings: Ein 100-k
Ω
-
Widerstand kostet genauso viel wie ein 82-k
Ω
-Widerstand. Verfolgt man die Widerstands-
daten der Phasenumkehrschaltungen über die Jahre hinweg, so erkennt man unschwer das
Ringen um die "beste Lösung" (Kap. 10.4.3). Und "Über-Alles-Gegenkopplungen", die auch
Magnetfeld-Unsymmetrien einbeziehen, zeugen ebenfalls vom Wunsch nach möglichst gerin-
gen Nichtlinearitäten. Doch auch hierzu gibt es Gegenbeispiele, wie den AC-30, dessen End-
stufe ganz ohne Gegenkopplung auskommen muss – und sicher nicht nur der Kosten wegen.
Deshalb, wie schon oben erwähnt: Die Antworten waren und bleiben spekulativ. Vielleicht
war die folgende Mischung typisch: Das erklärte Ziel war eine möglichst gute Symmetrie,
ergo wenig
k
2
, und so wurde der Labor-Prototyp so lange modifiziert, bis sich das Ergebnis
sehen lassen konnte. Oder hören lassen. Und dann ging's ab in die Produktion, weil schon die
nächste Arbeit wartete. Das Erstellen von Statistiken über Parameter-Streuungen dürfte in den
50ern so beliebt gewesen sein wie heutzutage, und – unbedingt nötig war's offenbar nicht.
Wenn man nicht gerade eine total aus dem Ruder laufende Paraphase-Schaltung betrachtet, so
sind die im
Kleinsignalbereich
auftretenden Toleranzen ("Un-Antimetrien") einer typischen
Phasenumkehrstufe eher unbedeutend im Vergleich zu den Besonderheiten ihres
Großsignal
-
Verhaltens
. Jede übliche Phasenumkehrstufe koppelt das von ihr erzeugte Wechselsignal
über (je) einen Koppel-Kondensator (
Koppel-C
) auf die beiden Endröhren, um vom hohen
Anoden- (oder auch Kathoden-) -Potential zum niederen Gitterpotential der Endröhre zu ge-
langen. Der Koppel-C
"trennt den Gleichanteil ab"
, an ihm liegt, so die einfache Theorie, eine
praktisch konstante Gleichspannung. Mitnichten! Bei der (keinesfalls verbotenen) Übersteue-
rung der Endröhren fließt in diesen ein nicht zu vernachlässigender Gitterstrom, und dieser
verändert den Gleichspannungsabfall am Koppel-C, und damit den Endröhren-Arbeitspunkt.
U
0
R
g
R
S
U
S
C
Abb. 10.4.12:
Einfache Modell-Schaltung zur Gitterstrom-Simulation
In Abb. 10.4.12
ist eine einfache Schaltung dargestellt, anhand der sich das grundlegende
Verhalten bei Gitterstromfluss gut diskutieren lässt.
U
S
ist die Signalquelle (also die Röhre der
Phasenumkehrstufe),
R
S
ist ihr Innenwiderstand,
C
der Koppel-Kondensator.
R
g
steht für den
Gitter-Ableit-Widerstand der Endröhre (z.B. 220 k
Ω
), deren nichtlinearer Eingangswiderstand
durch die Diode und die Gleichspannungsquelle (z.B.
U
0
= 20 V) nachgebildet wird. Zunächst
ist es zweckmäßig, die Wechselspannungsquelle ohne zusätzlichen DC-Offset anzunehmen.
Solange die Amplitude der Wechselspannung
U
S
kleiner ist als
U
0
, sperrt die (ideal gedachte)
Diode. Am Koppel-C liegt hierbei nur eine minimale Wechselspannung, keine Gleichspan-
nung (Betrieb deutlich über der Hochpass-Grenzfrequenz). Übersteigt die Wechselspannungs-
Amplitude
S
hingegen die Gleichspannung
U
0
, beginnt die Diode zu leiten und begrenzt das
an
R
g
abfallende Signal. Hierbei fließt durch die Diode ein impulsförmiger Strom, und da
dieser Strom nur in eine Richtung fließt, ist sein Mittelwert von null verschieden. Man könnte
auch sagen: Durch die Diode fließt ein gleichspannungsfreier Wechselstrom mit überlagertem
Gleichstrom. Nun kann aber dieser Gleichstrom nicht durch den Kondensator fließen, er muss
zur Gänze durch
R
g
, und erzeugt an diesem einen (negativen) Gleichspannungsabfall. Die
Quelle (
U
S
) bleibt weiterhin gleichspannungsfrei (Spannungseinprägung), an
R
g
entsteht je-
doch eine Gleichspannung, und somit polarisiert der Gleichstrom den Koppel-Kondensator.