Anhang
© M. Zollner 1999 - 2014
A-32
Es soll nicht behauptet werden, bei der Cryo-Behandlung ändere sich gar nichts. Glauben wir
der Werbung, dass
"das Ziel jeder Wärmebehandlung ist, soviel wie möglich Austenit in Mar-
tensit umzuwandeln"
[www.cryo-tuning.de]
⊕
. Da geht es aber um
Kohlenstoff-Stahl
, und
nicht um Telecaster-Bodies – die sind nämlich nicht aus Stahl. Und sollte die Klinkenbuchse
tatsächlich aus gehärtetem Stahl bestehen, und sie nach der Cryo-Behandlung
"wegen der nun
dichteren molekularen Struktur erheblich leitfähiger"
geworden sein, es wäre so was von
wurscht, wurschter geht's nicht. Das glauben nicht alle:
"Die Cryo Behandlung bewirkt eine
dichtere molekulare Struktur und somit werden elektrische Bauteile wie Kabel, Pickups, Potis
erheblich leitfähiger"
[www.georgeforester.de]
.
Potis, aha! Heißt, das 500-k
Ω
-Poti hat nach
der Behandlung nur mehr 400 k
Ω
? Oder ein Kabelhändler:
"Was macht die Kryo-Behandlung
genau? Werden nun Materialien für eine definierte Zeit- Temperaturspanne diesen extremen
Temperaturen ausgesetzt, baut sich eine Art Druck im Material auf, bei dessen „Entspan-
nung“ es zu einer Veränderung der molekularen Struktur kommt. Die Moleküle richten sich
dabei gleichmäßiger aus, binden fester ab und bilden eine deutlich beständigere Struktur
Hierdurch verbessert sich die elektrische Leitfähigkeit und damit die Energie- und Signal-
übertragung ganz erheblich. Kupfer, oder Silber oder andere elektrische Leiter und Stecker
haben z.B. einen freieren Fluss der Elektronen.
Die Klangsteigerung ist einfach enorm."
Das
tut schon weh: Freierer Elektronenfluss in Kupfer oder Silber, wie kommt man auf solchen
Unsinn? Vermutlich mit Analogieschlüssen. Ein Beispiel: Da bietet man als bekannter Autor
einer bekannten Zeitschrift einen Workshop an, in dem das
Braten
der Gitarre zelebriert wird.
Ein großer Herd, eine große Pfanne, darin Öl – und ein Tele-Body. Auf jeder Seite 3 Minuten
braten, weil: Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass diese Prozedur bei Rindfleisch zu
einer enormen Geschmackssteigerung führt. Bei der Gitarre ist's so ähnlich ...
But seriously:
Tiefstkühlung
(DCT, Cryobehandlung) ist nicht generell unsinnig. Das Ver-
fahren ist bekannt, und wird z.B. für Werkzeugstähle eingesetzt. Oder für Rennmotoren, oder
andere hochbeanspruchte Metallteile. Vorteil: Steigerung von Härte, Schneidhaltigkeit, Dukti-
lität, Abriebfestigkeit, Lebensdauer, kurz: von allem, was bei Bohrer, Fräser und Co. wichtig
ist. Bei der E-Gitarre sollte allenfalls an Cryobehandlung denken, wer sein Strat-Tremolo alle
6 Monate komplett abschabbelt. Bei Stahlsaiten ... nicht komplett unsinnig, käme auf einen
Versuch an. Wenn dadurch die Zugfestigkeit (Bruchlast) erhöht wird, und sonst nichts
schlechter wird ... Metallurgen fragen. Bei umsponnenen Saiten wird sich aber auch trotz er-
folgter Cryobehandlung Fett (Talg, Staub...) in den Rillen der Umspinnung absetzen, und das
ist der wesentliche Soundkiller, da hilft eine "homogenere Molekülstruktur" rein gar nichts.
Natürlich ist es lukrativ, für 600 Euro komplette E-Gitarren zu kühlen – rein auf der Basis des
Versprechens, der Sound würde irgendwie besser:
"Hochfrequenz- und harmonische Schwin-
gungen werden erheblich verringert oder beseitigt durch Spannungsfreiheit im Werkstück".
Wenn harmonische Schwingungen erheblich verringert werden, werden dann inharmonische
Schwingungen verstärkt? Wie unsinnig das alles ist, sieht man an der dazu kontroversen
Aussage:
"Gitarren welche eine Cryo-Behandlung erhalten haben klingen wesentlich harmo-
nischer".
Da wird jeder Blödsinn zusammengetragen, den der Werbetexter finden kann:
"Das
Cryogenisieren von HiFi und Audiogeräten auch Verstärker (Amps) von E-Gitarren/E-Bässen
sorgt für einen satteren Sound. Auf behandelten CDs waren Bassfrequenzen konturierter und
im Vergleich lauter"
. Doch:
"Durch die Strukturveränderung der Leiter müssen Sie allerdings
mit einer erneuten Einspielzeit rechnen, die je nach Kabel unterschiedlich lang ist."
Das
klingt nun schon sehr nach "Plembl". Nicht zu vergessen:
"Löcher in der inneren Struktur des
Materials verhindern die oranisierte Bewegung von Elektronen (sic)."
⊕
Genauer bei z.B. Rösler, Harders, Bäker: Mechanisches Verhalten der Werkstoffe, Teubner, 2003.