2. Die Saite als Leitung
© M. Zollner 2002
2-18
2.4
Einschwingvorgänge
Die Systemtheorie beschreibt lineare zeitinvariante (LZI-) Systeme durch die
Impulsantwort
.
Die Impulsantwort
h
(
t
) ist eigentlich eine
System
größe; man kann sie sich aber auch als eine
Signal
größe vorstellen, die am Systemausgang anliegt, wenn der Systemeingang mit einem
(Dirac-) Impuls
δ
(
t
) angeregt wird. Verwendet man anstelle des Dirac-Impulses dessen zeit-
liches Partikulärintegral, die Sprungfunktion, so entsteht am Systemausgang das zeitliche Par-
tikulärintegral der Impulsantwort, die
Sprungantwort
. Dirac-Impuls und Sprung sind Ideali-
sierungen, die in der Realität nur näherungsweise vorkommen. In einer Vorüberlegung soll
die Saite mit einem
Kraftsprung
angeregt werden: Eine von außen auf die Saite einwirkende
Querkraft ändert ihren Wert zum Zeitpunkt
t
= 0 von 0 auf
F
, die Saite ist für negative Zeiten
bewegungslos in Ruheposition (nicht ausgelenkt). Für diese Modellbetrachtung ist es unwich-
tig, wie so ein Kraftsprung realisiert werden könnte, wichtig ist aber, dass
F
konstant bleibt,
und insbesondere nicht von der Auslenkung abhängt. Die Saite ist an
einer
Stelle (
z
= 0)
unnachgiebig gelagert, das rechte Lager ist sehr weit entfernt. Im Abstand
d
vom Lager greift
die
externe Kraft
F
an der Saite an (
Abb. 2.18
).
ξ
F
t <
τ
t >
τ
z
Abb. 2.18:
Ortsfunktionen der Auslenkung. Von oben
nach unten sind 7 aufeinanderfolgende Zustände
gezeichnet. Das unnachgiebige Lager ist durch einen
Punkt gekennzeichnet, an der mit einem Stern mar-
kierten Stelle greift eine konstante externe Kraft
F
an.
In den ersten 5 Bildern ist die von links kommende
Spiegelwelle gestrichelt eingezeichnet, in den letzten
beiden Bildern nicht mehr. Der weitere Verlauf der
Welle ist im untersten Bild gepunktet dargestellt.
Durch die Saitendaten ist der Wellenwiderstand
Z
W
definiert. Solange am Anregungspunkt
(Stern) noch keine Reflexion angekommen ist, beschreibt
Z
W
den Quotient zwischen Kraft
F
und Schnelle
v
. Da der Anregungspunkt aber mit
zwei
Leitungen belastet ist (nach rechts und
nach links), ist aus externer Sicht der Eingangswiderstand an dieser Stelle verdoppelt, also
2
Z
W
. Bei Analogiebetrachtungen mit einer elektrischen Leitung muss berücksichtigt werden,
dass die
F
-
I
-Analogie reziproke Widerstände ergibt: Impedanz
Admittanz. Das Einprägen
einer konstanten Kraft am Stern führt zu einer Querbewegung mit konstanter Schnelle:
v
=
F
/(2
Z
W
). Die
Reflexion
wird durch eine von links kommende Spiegelwelle berücksichtigt, die
nach der Zeit
τ
= 2
d
/
c
den Stern erreicht (
c
= Ausbreitungsgeschwindigkeit). Für
t
>
τ
wird
der Quotient von
F
und
v
nicht mehr durch
Z
W
bestimmt, denn nun sind beim Stern zwei
Wellen überlagert. Die beiden entgegengesetzten Schnellewellen bewirken, dass bei
t
=
τ
der
mit einem Stern markierte Saitenpunkt seine Schnelle von
v
auf null ändert, für
t
>
τ
bleibt er
ortsfest ausgelenkt. Seine in diesem Punkt erreichte Auslenkung
ξ
ˆ
kann berechnet werden:
Ψ
τ
ξ
F
d
Z
c
F
d
v
=
=
=
W
2
2
ˆ
Maximalauslenkung am Stern,
t
τ
Denselben Wert erhält man mit dem Kräfteparallelogramm, wenn man die Saitenspannkraft
Ψ
und die Querkraft
F
orthogonal zueinander ansetzt:
Ψ
ξ
F
d
=
ˆ
.