10.8 Effekte
© M. Zollner 2007
10-221
10.8.5 Verzerrer
Die Nachrichtentechnik spezifiziert zwei Arten von Verzerrungen: Lineare, und nichtlineare.
Lineare Verzerrungen entstehen in Systemen, deren Übertragungsfunktion frequenzabhängig
ist, also z.B. in Klangfiltern
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(aka. Klangregler, EQ). Nichtlineare Verzerrungen entstehen in
nichtlinearen Systemen. Damit ein System linear arbeitet, müssen Proportionalität, Quellen-
freiheit und Superpositionierbarkeit vorliegen. Wird auch nur eine dieser Bedingungen nicht
erfüllt, ist das System nichtlinear.
•
Proportionalität bedeutet, dass zum
n
-fachen Eingangssignal das
n
-fache Ausgangs-
signal gehört (Verdopplung am Eingang gibt Verdopplung am Ausgang).
•
Quellenfreiheit bedeutet, dass ohne Eingangssignal das Ausgangssignal null ist.
•
Superpositionierbarkeit bedeutet, dass die vom System bewirkte Transformation einer
Signalsumme der Summe der transformierten Signale entspricht:
T
(
x+y
) =
T
(
x
)+
T
(
y
).
Die Beschreibung vereinfacht sich, wenn lineare und nichtlineare Systeme streng getrennt
werden, wenn also jedes Teilsystem nur lineare oder nur nichtlineare Abbildungen vornimmt.
Ein nichtlineares System, das keine linearen Verzerrungen verursacht, ist speicherfrei, denn
nur mit Speichern (Induktivität, Kapazität) entstehen frequenzabhängige Widerstände, und
somit eine frequenzabhängige Übertragung. Bei
speicherfreien Systemen
hängt das Aus-
gangssignal nicht vom vergangenen Eingangssignal ab, sondern nur von dem im selben
Moment anliegenden Eingangssignal, die Übertragungseigenschaften lassen sich mit der
Übertragungskennlinie
y
(
x
) beschreiben. Damit nichtlineares Verhalten vorliegt, muss diese
Kennlinie gekrümmt
sein (streng genommen bewirkt auch ein Offset Nichtlinearität).
Die in Gitarrenverstärkern verwendeten Verstärkerelemente (Röhre, Transistor) haben alle
eine gekrümmte Übertragungskennlinie, deshalb arbeitet jeder Gitarrenverstärker nichtlinear.
Nach den klassischen Regeln der Verstärkertechnik sollten diese Nichtlinearitäten möglichst
klein sein, weswegen mit Gegenkopplungsmaßnahmen die Verstärkung reduziert, und gleich-
zeitig linearisiert wurde. Viele Gitarristen waren mit dem hierdurch entstehenden sog. "Clean-
Sound" zufrieden, einige forcierten aber nichtlineare Verzerrungen, indem sie ihre Verstärker
übersteuerten (Crunch, Distortion, Fuzz). Bei einigen Verstärkern gelang dies nur, wenn man
mit hoher Verstärkung, und damit auch mit hoher Lautstärke spielte, bei manchen war aber
selbst bei maximaler Verstärkung die nichtlineare Verzerrung zu gering. Deshalb entstanden
Zusatzgeräte, die – unabhängig vom eigentlichen Verstärker – das Erzeugen nichtlinearer
Verzerrungen ermöglichten: Tube-Screamer, Fuzz-Box, Distortion-Pedal, oder wie sie alle
heißen mögen. Der Effekt blieb nicht lange auf Zusatzgeräte beschränkt, mit Erhöhung der
Röhrenanzahl boten bald auch die Gitarrenverstärker Möglichkeiten zum Einstellen des
gewünschten Verzerrungsgrades.
Die im Folgenden beschriebenen Verzerrer sind Systeme, die dem Gitarrenton
nichtlineare
Verzerrungen
hinzufügen. Ob dies im eigentlichen Verstärker, oder in einem Zusatzgerät er-
folgt, wird zunächst nicht weiter unterschieden. Durch Verzerrung verändert sich der Gitar-
renton, wird tragender, voller, schriller, aggressiver, sägender, lebendiger, aber immer abhän-
gig von den Einstellungen – "den" Verzerrerklang gibt es nicht. Durch Verzerrung verändert
sich auch die
Dynamik
des Signals, im Sinne einer Verlängerung des Sustains. Da praktisch
alle Verzerrer eine degressive, begrenzende Übertragungskennlinie aufweisen, werden die im
Gitarrensignal vorhandenen Pegelunterschiede verringert, werden Unterschiede zwischen laut
und leise eingeebnet. Der eigentlich perkussive Gitarrenton wird dadurch stationärer und hört
sich bläserähnlich (Saxofon, Trompete) oder streicherähnlich (Cello) an.
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M. Zollner: Signalverarbeitung. Hochschule Regensburg, 2009.