7.12 Schwingung – Schall – Klang
© M. Zollner 2010
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Diese beiden Interferenzfilter hängen von der Saitenlänge, sowie der Anzupf- und der Tonab-
nehmerposition ab. Der Tonabnehmer selbst wirkt in diesem Beispiel näherungsweise wie ein
Tiefpass zweiter Ordnung (
f
x
= 4 kHz, Kap. 5), die Magnet-Apertur und die vom Plektrum
verursachte Sprungverrundung lässt sich, wie das Beispiel zeigt, sehr gut durch einen weite-
ren 4.3-kHz-Tiefpass nachbilden. Und das
Korpusholz
? Das kann ja nur über die Reflexions-
dämpfung Einfluss auf Spektrum und Gitarrenklang nehmen, und da gilt: Je kürzer der Beo-
bachtungszeitraum, desto weniger Reflexionen, und desto unwichtiger ist der Korpus! Selbst
bei 150 ms (unterstes Bild) erkennt man im abklingenden Spektrum immer noch die Domi-
nanz der beiden Interferenzfilter – lediglich der 5.3-kHz-Teilton fällt aus dem Rahmen, er
klingt wesentlich schneller ab als seine Kollegen. Doch wie in Kap. 7.7 schon ausführlich er-
läutert: zuerst sind saiten- und lagerspezifische Dämpfungseigenschaften zu berücksichtigen,
erst an letzter Stelle kommt der Einfluss des Korpusholzes.
Abb. 7.136 rechtfertigt die Unterscheidung in ein
Attack
- und ein
Decay
-Spektrum. Während
der ersten Millisekunden hängt die spektrale Hüllkurve (neben Plektrum- und Tonabnehmer-
Tiefpassfilter) nur vom Tonabnehmer-Interferenzfilter ab (rot gestrichelte Hüllkurve), erst
nach ungefähr 10 ms gewinnt das Anzupf-Interferenzfilter zunehmend an Bedeutung. Für den
Höreindruck ist nur das aus allen Filtern gebildete Decay-Spektrum wichtig, seine Hüllkurve
ist in Abb. 7.136 beim 30-ms-Spektrum blau gestrichelt eingezeichnet.
Eine andere Situation ergibt sich erst beim nichtlinearen System, doch ehe im nächsten
Kapitel auf dessen Besonderheiten eingegangen wird, sollen noch kurz einige
Randeffekte
angesprochen werden. Außer der Gitarre beeinflussen natürlich auch Verstärker, Lautsprecher
und Raum den am Ohr ankommenden Schall. Hebt man mit einem selektiven Filter (EQ)
einen eigentlich pegelschwachen Teilton an, kann er Bedeutung bekommen und hörbar
werden. Ähnliches kann passieren, wenn man die Abklingzeit eines Teiltones extrem verlän-
gert (z.B. von 1 s auf 5 s). Aussagen zur Hörbarkeit bzw. Unhörbarkeit sind somit nie immer-
gültige Allgemeinurteile, sondern im Rahmen üblicher Bühnen- und Studiotechnik zu sehen.
Des weiteren lassen sich die für einen Ton gefundenen Ergebnisse nicht 1:1 auf alle anderen
Töne übertragen – die Gitarre hat mehr als eine Saite, mehr als einen Bund, und mehr als
einen Teilton. Lediglich das Übertragungsfilter des Tonabnehmers (Kap. 5.9.3) kann man als
einigermaßen saitenun
spezifisch ansehen, Plektrum- und Aperturfilter sind saitenspezifisch,
die beiden Interferenzfilter sind darüberhinaus auch noch stark positionsspezifisch.
Zuletzt sei nochmals daran erinnert, dass nicht die absolute Unterschiedsschwelle ermittelt
werden sollte. In der Grundlagenforschung mag es gerechtfertigt sein, mit einer repräsentati-
ven Probandengruppe den Unterschied zwischen einem realen Gitarrenton und einem hierzu
synthetisierten Ton exakt zu ermitteln, und z.B. zu erfahren, dass ab 0.23 s Tondauer Schwe-
bungsunterschiede hörbar werden. Umklammert aber bei der Repromessung die Greifhand
den Hals etwas fester, ändert sich diese Zeit, ebensolches geschieht beim minimalen Ändern
des Plektrumwinkels, oder wenn man die Gitarre fester gegen den Bauch presst. Nicht
unwichtig, aber von erdrückender Parametervielfalt. Das Funktionsmodell mit Plektrumfilter,
Anzupf-Interferenzfilter, Tonabnehmer-Interferenzfilter und Tonabnehmer-Übertragungsfilter
erklärt in einfacher Weise das Spektrogramm, dessen wichtigste Datensätze
Decay-Spektrum
und
T
30
-Spektrum
sind. Ergänzt man noch Grundfrequenz und Inharmonizität, lassen sich
schwach angezupfte E-Gitarrentöne in guter Qualität synthetisieren, zumindest, wenn die
Dauer nicht zu lang ist. Auf der Basis dieses Modells können dann Parametervariationen
durchgespielt werden, als deren Ergebnis Bewertungen zur Relevanz der einzelnen Kompo-
nenten stehen. Und das ist mehr als die Vermutung, Erle habe
wegen ihrer größeren Elasti-
zität
ein kürzeres Sustain [G&B u.a., siehe Kap. 7.8].