11. Lautsprecher
© M. Zollner 2008 - 2014
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11.6 Nichtlineare Verzerrungen
Die Nachrichtentechnik unterscheidet sehr sorgfältig zwischen linearen und nichtlinearen Sig-
nalverzerrungen: Ein lineares System verursacht nur lineare Verzerrungen, ein nichtlineares
System produziert (so es speicherfrei ist) nur nichtlineare Verzerrungen. Die Vermischung
von linearen und nichtlinearen Effekten versucht man dadurch zu vermeiden, dass man Unter-
systeme definiert, die rein lineare bzw. rein nichtlineare Verzerrungen produzieren.
Bei einem
linearen System
(z.B. Verstärker) gilt Proportionalität, Superposition und Quellen-
freiheit. Die letzte Eigenschaft ist schnell erklärt: Ohne Eingangssignal kein Ausgangssignal.
Zu einem von null verschiedenen Ausgangssignal
y
~
muss ein von null verschiedenes Ein-
gangssignal
x
~
existieren. Verdoppelt man
x
~
, muss sich auch
y
~
verdoppeln – das ist Proportio-
nalität. Man erkennt schnell, dass die "lineare Funktion" der Mathematik, die durch die lineare
Gleichung
y
=
k
⋅
x
+
m
definiert wird, nur dann die Forderung nach Proportionalität und
Quellenfreiheit erfüllt, wenn
m
gleich null ist. Der Superpositions- oder Überlagerungssatz
besagt, dass die Abbildung einer Summe gleich der Summe der abgebildeten Summanden
sein muss. Also:
y
=
T x
stellt die Abbildung des Einganssignals
x
auf das Ausgangssignal
y
dar. Liegt am Systemeingang die Summe zweier Signale, muss im linearen System gelten:
2
1
2
1
x
T
x
T
x
x
T
y
+
=
+
=
Superposition beim linearen System
Dass Proportionalität und Quellenfreiheit alleine nicht ausreichen, um lineares Verhalten zu
spezifizieren, zeigt der ideale
Vollweggleichrichter
(der das Vorzeichen negativer Eingangs-
signale umdreht): Er ist quellenfrei, zum
n
-fachen Eingangssignal gehört das
n
-fache Aus-
gangssignal, aber sobald man am Eingang ein zusätzliches Signal (z.B. Gleichspannung)
addiert, ändert sich die Ausgangskurvenform – der Gleichrichter ist nichtlinear.
Man ist versucht, das lineare System auf die Abbildungsformel
y
=
k
⋅
x
zu reduzieren, schließt
damit aber unzulässigerweise die Gruppe der Differentialgleichungen bzw. die Speicherfähig-
keit aus. Ein System, das die Geschwindigkeit eines Massepunktes auf seine Beschleunigung
abbildet, ist ein (zeitlicher)
Differenzierer
♣
. Dieses System erfüllt die Bedingungen der Quel-
lenfreiheit [
d
/
dt
(0) = 0], der Proportionalität [
d
/
dt
(
k
⋅
x
) =
k
⋅
dx/dt
], und auch der Superposition:
d
/
dt
(
ξ
+
) =
d
ξ
/dt + d
/dt.
Der Differenzierer ist ein lineares System, obwohl seine Übertra-
gungskennlinie bei Sinusaussteuerung keine Gerade, sondern eine Ellipse ist. Die von einem
linearen System verursachten
linearen Verzerrungen
werden üblicherweise für die Aus-
steuerung mit sinusförmigen Signalen als Amplituden- und Phasen- bzw. Laufzeitverzerrun-
gen angegeben, grafisch im Amplituden- und Phasenfrequenzgang dargestellt. Die von einem
RC-Hochpass verursachte Bassabsenkung ist eine lineare Signalverzerrung, ebenso wie die
Präsenzanhebung eines Equalizers (der natürlich nicht übersteuert sein darf). Auf eine impuls-
artige Anregung reagiert der Resonanzkreis des Equalizers mit (theoretisch unendlich langem)
Nachschwingen, engl. "Ringing" genannt. Eine Signalverzerrung, zweifelsohne. Aber eine
lineare. Leider wird gerade bei der populär-"wissenschaftlichen" Beschreibung von Laut-
sprecher-Eigenschaften häufig nicht zwischen linearen und nichtlinearen Verzerrungen unter-
schieden.
Nichtlineare Verzerrungen
entstehen, wenn ein System mindestens eines der o.g.
drei Linearitätskriterien nicht erfüllt – es ist dann ein nichtlineares System. Wann immer
möglich, versucht man lineare und nichtlineare Verzerrungen in (u.U. nur modellmäßig
existierende) Subsysteme aufzuteilen: Ein durch seine Übertragungsfunktion beschriebenes
lineares System, und ein durch seine gekrümmte Übertragungskennlinie definiertes (speicher-
freies) nichtlineares System.
♣
Die Formeldarstellung soll Platz sparen; sie erfüllt u.U. nicht die Erwartungen aller Mathematiker.